1. Einführung
Die SoulBrache ist eine seit vielen Jahren leerstehende Industriefläche am Veringkanal in Hamburg Wilhelmsburg, bekannt durch die, inzwischen durch die Stadt geschlossene, legendäre Kulturhalle Soulkitchen. Aus dem Stadtteil ist über die letzten Jahre die lebendige Initiative KulturKanal entsprungen. Sie bespielt und nutzt neben vielen anderen Initiativen, Gruppen und einzelpersonen die SoulBrache regelmäßig mit Kulturangeboten und beabsichtigt die leerstehende Fläche für die Bedürfnisse des Stadtviertels weiter zu entwickeln. In interdisziplinären Veranstaltungsformaten begegnen sich Livemusik, Kino, Theater, Lagerfeuer, Bar, Ökologie im Hafen, Bewegungsangebote im Freien und Küche für Alle. 2021 leistete die Initiative Vernetzungsarbeit in Wilhelmsburg, um im Sommer 2022 der Stadt ein Konzept vorzulegen, das die Bedürfnisse diverser Gruppen in Wilhelmsburg für eine Freifläche widerspiegelt. Bei der flächenverwaltenden Sprinkenhof GmbH wurde über das Bürgerhaus Wilhelmsburg versucht eine offizielle Nutzung in die Wege zu leiten und erste Gespräche mit Hamburger Politiker:innen wurden geführt. Anfang Juni 2022 veranlasste die Sprinkenhof GmbH dann überraschend einen Zaunbau, wohl mit dem Ziel jegliche Nutzung der Fläche zu unterbinden. Das Stadtviertel verliert dadurch einen der letzten Freiluft-Kulturorte.
Die Initiative KulturKanal fordert mit der Vorlage dieses Konzepts den Zaun umgehend wieder zu entfernen um die gewohnte Nutzung wieder möglich zu machen. Außerdem wird gefordert, einen Dialog zwischen Politik, Bezirk, Sprinkenhof und den Kulturaktivist:innen für eine temporäre bedarfsorientierte Entwicklung dieses Leerstands zu beginnen.
Soulbrache Winter 2022
2. SoulBrache
Bis Juni 2013 sorgte die Soulkitchenhalle am Veringkanal für ein unkommerzielles und vielfältiges Programm in Hamburg-Wilhelmsburg. Sie war für viele Wilhelmsburger Künstler:innen erster oder regelmäßiger Auftrittsort und wurde durch dutzende lokale Gruppen und Einzelpersonen bespielt. Die SoulBrache war mit ihren ca. 10.000 m² schon damals Freiraum für kreative Ideen und ein Ort an dem Menschen laut und aktiv sein konnten, direkt neben dem sich immer weiter verdichtenden Reiherstiegviertel. Nachdem die Stadt die Soulkitchenhalle 2013 dauerhaft und ersatzlos sperrte, blieb die Fläche neben der verschlossenen Halle ein beliebter Treffpunkt und Ort für kleinere Feiern, Ausstellungen oder Veranstaltungen.
Durch die Pandemie entstand 2020 ein vorher so nicht bekannter Bedarf an Platz und Flächen unter freiem Himmel. In Wilhelmsburg-West leben viele Menschen in Familien oder Wohngemeinschaften auf engem Raum. Um die Wohnhäuser herum gibt es lediglich einige kleinere Hinterhöfe oder Parkflächen. Diese sind wegen Lautstärkebelastung allerdings nur für bestimmte Formate als Treffpunkt oder Aufenthaltsort geeignet. Deshalb erlebte die Soulfläche in der Pandemie noch einmal einen ganz neuen Zulauf. Konnte die Initiative KulturKanal bis 2019 etwa 5-10 Kulturveranstaltungen pro Jahr und die unregelmäßige Nutzung durch Spaziergänger:innen und LKW-Fahrer:innen beobachten, waren ab 2020 jeden Tag Menschen auf der Fläche zu sehen und selbst im Winter zahlreiche Veranstaltungen oder Gruppentreffen im Freien.
Da ein verantwortungsbewusster Umgang mit der Pandemie bedeutet Innenräume zu meiden, entwickelte sich eine neue Draußenkultur in Wilhelmsburg. Die Initiative KulturKanal bot unabhängig von Wetter und Temperatur ein monatliches Format mit Feuertonne, warmen Getränken und künstlerischen Darbietungen, Kino oder Stockbrot an. Andere Gruppen veranstalteten Partys am Wochenende, wieder andere verlegten organisatorische Gruppentreffen auf die Fläche. Menschen nutzten die ersten Sonnenstunden zum Yoga machen, draußen lesen oder trafen sich mit einer Akkubox für kleine Geburtstagsfeiern. Trucker machten hier gemeinsam Essenspause, für Kinder wurde die Brache ein großer Spielplatz und Sport- oder Jonglagegruppen trainierten auf der Freifläche.
Der Initiative KulturKanal ist bekannt, dass der Boden der Fläche durch die industrielle Nutzung belastet ist und außerdem mindestens drei Fliegerbomben aus dem zweiten Weltkrieg unter der versiegelten Fläche liegen. Dies ist in Wilhelmsburg den meisten Nutzer:innen bekannt, wodurch ständig kommuniziert wurde, dass keine Befestigungen im Boden verankert werden dürfen und die Versiegelung nicht verletzt werden darf (mehr dazu siehe Punkt 6 / Sicherheit).
Die Fläche war zwar immer mehr oder weniger öffentlich zugänglich, trotzdem herrschte dauerhaft Unklarheit darüber in welchem Maße sie genutzt werden darf.
Einerseits fanden kontinuierlich selbstorganisierte Veranstaltungen und Zusammentreffen auf der Fläche statt, andererseits ließen mehrere Ereignisse darauf schließen, dass die Sprinkenhof GmbH eine Nutzung verhindern möchte. Während Beamte der Wasserschutzpolizei hin und wieder bei Veranstaltungen auftauchten und bestätigten, dass eine Nutzung im vorgefundenen Rahmen kein Problem sei, gab es auch einen Tag, an dem Beamte des Polizeikommissariats 44 von einem Nutzer der Fläche Daten aufnahmen, um ein Verfahren wegen Verdacht auf Hausfriedensbruch einzuleiten. Von Seiten der Sprinkenhof GmbH war zu beobachten, dass über Jahre hinweg die Fläche nie verschlossen oder beschildert wurde. Trotzdem wurde bei regelmäßigen Räumungsaktionen alles von der Brache entfernt, was Menschen für eine Nutzung errichteten. So wurden ohne Ankündigung etliche selbstgebaute Sitzgelegenheiten, ein Weidendom, ein Kindertrampolin, mehrere Tische, Tresen und Stühle und eine Kleinkunstbühne abgerissen und entfernt. Bei den Nutzer:innen der Fläche löst das bis heute Unverständnis aus, da es nie zu Konflikten mit Anwohnenden oder anliegenden Firmen kam, ebenso wenig zu Lautstärkeproblemen. 2021 wuchs somit der Frust über das Handeln von Sprinkenhof/Stadt. Der angebliche Hausfriedensbruch gegen eine Person wurde sogar zur Anzeige gebracht, woraufhin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Dies stellte die Hamburger Staatanwaltschaft allerdings zügig ein. Anwälte bestätigten der Initiative KulturKanal 2022, dass aufgrund der öffentlichen Zugänglichkeit auf einer letztlich städtischen Brache, der Vorwurf eines Hausfriedensbruchs nicht zu begründen sei und zudem das Gewohnheitsrecht geprüft werden müsse.
Als dann im Juni 2022 eine Firma begann einen massiven Zaun um das Gelände zu ziehen, verbreitete sich diese Nachricht und die Wut darüber wie ein Lauffeuer im Stadtviertel. Ist doch gerade zu dieser Zeit, in der Pandemie und durch immer mehr Kulturveranstaltungen die Fläche zu einem essentiellen Kultur- und Begegnungsort geworden. Zur Überraschung der Initiative Kulturkanal äußerte sich die Sprinkenhof GmbH auf Nachfrage sehr positiv zu möglichen Vorschlägen für eine kulturelle Nutzung und bedauerte die Entwicklung zum Zaunbau. Verantwortlich für diesen Missstand sei die Stadt mit ihrer Nutzungspolitik.
Konzert auf der SoulBrache, Winter 2021
3. Entwicklung in Wilhelmsburg-West
Inzwischen ist die SoulBrache ein etablierter Kultur- und Begegnungsort für das Viertel geworden und nicht mehr ohne Ersatz wegzudenken. Die Menschen in Wilhelmsburg brauchen Platz! Allerdings wird gerade Raum für freie Entfaltung immer knapper. Mit der Brache an der Sanitasstraße verschwand vor kurzem ein zentraler Treffpunkt. Die Freifläche am Ernst-August-Kanal neben dem Vogelhüttendeich, im so genannten „wilden Wald“ (ehemals Wagenplatz und Kulturort), soll bebaut werden. Die selbstorganisierte Skateanlage unter der Brücke der alten Wilhelmsburger Reichsstraße wurde abgerissen. Der Party- und Kulturort „Neuland“ am Honartsdeicher Weg, darf nicht weiter genutzt werden. Der letzte Club der Insel, das Turtur, schloss im Mai 2022. Damit ist der besondere Charme von Wilhelmsburg mit vielfältigen und durch Anwohner:innen getragenen Kulturangeboten bedroht.
Als Andy Grote 2013 die Vokabel „Kultur Kanal“ für den Bereich Veringkanal kommunizierte, gab es große Hoffnungen, dass der leerstehende Ex-Lidl und die Zinnwerke neue Kulturorte werden würden. Diese Hoffnung verwandelte sich für Wilhelmsburg in eine Enttäuschung. Der alte Lidl verfällt und die Zinnwerke können nur eingeschränkt durch bestimmte Gruppen genutzt werden. Die Initiative Soulvillage, ein Zusammenschluss aus Wilhelmsburger:innen mit Initiator:innen der Soulkitchenhalle, legte nach der Schließung der Halle 2015 ein umfassend ausgearbeitetes und kulturell sehr vielseitiges Konzept für die weitere Nutzung der Soulfläche vor. Stadt und Sprinkenhof GmbH fehlte damals aber der Wille diese besondere Vorarbeit durch Kulturschaffende zu nutzen. Viele bis dahin sehr aktive Kulturaktivist:innen waren daraufhin frustriert, jahrelang erarbeitete Konzepte fanden keine Beachtung und verschwanden. Als nun, 2021, durch zwei Jahre Pandemie, neue Nutzungsformen auf der SoulBrache entstanden und dazu sogar eine neue Initiative wuchs die sich der Fläche organisatorisch annehmen möchte, wurde ein Zaun gebaut. Es bleibt zu hoffen, dass Entscheidungsträger:innen den kulturellen Wert fürs Viertel bisher nicht kannten und Entscheidung des Zaunbaus im Dialog korrigieren werden. Dass die Politik gewillt ist dem Kultur Kanal Luft zum Atmen zu lassen.
4. Initiative KulturKanal
Kulturkanal. Ein Begriff, der ab 2013 kommuniziert durch Politik und Kreativgesellschaft vielleicht sogar ernst gemeint war, aber 2020 den Wilhelmsburger:innen nur noch ein Kopfschütteln abringen konnte. Schauen wir auf die letzten Jahre ist der Kulturraum am Kanal und in Kanalnähe nicht gewachsen, sondern geschrumpft. Und das, obwohl nach der städtischen Schließung der Soulkitchenhalle zahlreiche Konzepte und Angebote für neue Kulturprojekte vorgelegt wurden.
Ein Zusammenschluss von jungen Künstler:innen, Kulturschaffenden und Bewohner:innen aus Wilhelmsburg entschied sich ab 2020 pandemiegerechte Open Air Kultur ins Stadtviertel zu tragen. Das Prinzip: immer unkommerziell, mit Spendenzwecken für soziale und humanitäre Bewegungen und offen für alle. Kultur von unten heraus als Gegenentwurf zu dem gescheiterten Vorhaben von 2013. „Kulturkanal“ ernst nehmen und selber machen. Flexibel in Pandemiezeiten, mit mobiler Infrastruktur für Kulturveranstaltungen und stets einem offenen Ohr fürs Viertel und den dortigen Bedarfen. Die Formate waren von Anfang an sehr unterschiedlich. Um das Spreehafenbecken wurden Spendenläufe veranstaltet, auf verschiedenen Freiflächen Veranstaltungen mit Konzerten, Theater, Kino oder Stockbrot. Da Einzelpersonen aus dem Zusammenschluss schon lange die SoulBrache beobachteten oder sogar seit Schließung der Soulkitchenhalle immer wieder bespielten, wurde zunehmend ein Fokus auf diese Fläche gerichtet. Einerseits zeigte sich, dass die Fläche optimale Bedingungen für eine vielfältige Nutzung bietet, andererseits war jede Initiative auf der Fläche mit Unsicherheiten bezüglich der Nutzungserlaubnis und auch mit Frust wegen mehreren Räumungen verbunden.
Deshalb begann die Initiative mit der Arbeit an einem Konzept, das jetzt hier vorliegt.
Momentan besteht die wachsende Initiative aus einem Kern von etwa 10 Personen, mit etwa 20 weiteren Aktiven die mit Spezialwissen für Musik/Technik oder Infrastruktur temporär an Aktionen mitarbeiten. Niemand schlägt monetären Profit aus der Arbeit, alle Veranstaltungen sind unkommerziell, ohne Eintritt (niedrigschwellig zugänglich für alle), im öffentlichen Raum und ehrenamtlich organisiert.
Die Initiative KulturKanal ist bereit mit der Stadt und der Sprinkenhof GmbH in Dialog zu treten und schnelle Lösungen für das aktuelle Dilemma zu finden. Dafür kann die Initiative Arbeitskraft und Erfahrung einbringen. Die Initiative ist bereit eine Mitverantwortung für den Erhalt und für die Nutzung der Fläche zu übernehmen. Dabei möchte sie aber nicht das Prinzip verlieren, was in den letzten Jahren für hunderte positive Kulturmomente gesorgt hat: dass Stadtteilkultur auf der SoulBrache selbstorganisiert und dynamisch bleibt.
Hauptziel der Initiative ist 2022 eine zweijährige Zwischennutzung mit der Stadt und der Sprinkenhof GmbH zu vereinbaren, die eine offizielle Nutzung der Brache ermöglicht und die kontinuierlich aufgebauten Kulturangebote und einfachen Infrastrukturen nicht abreißen lässt. Bis dieses Ziel erreicht und der Zaun wieder geöffnet ist, wird die Initiative die Kulturveranstaltungen als politische Kundgebungen im öffentlichen Raum veranstalten um auf den aktuellen Missstand hinzuweisen.
SoulBrache, mobile Kleinkunstbühne, Oktober 2021
5. Bedarf in Wilhelmsburg
Öffentliche Flächen in Wilhelmsburg-West gibt es primär als Parks (Sanitaspark, Mokrystraße, Hafenrandstraße, Energiebunker) oder versiegelte Plätze im Zentrum (Stübenplatz, Mannesallee). All diese Orte liegen sehr nah an Wohnhäusern. In Wilhelmsburg leben zahlreiche Jugendliche und junge Erwachsene die sich regelmäßig in kleineren und mittelgroßen Gruppen zum Musik hören, oder für sportliche und sonstige Aktivitäten draußen treffen. Die dann entstehenden Lautstärken führen oft zu Konflikten mit Anwohner:innen. Die Initiative KulturKanal hat sich in diversen Milieus umgehört:
Wilhelmsburg braucht Freiflächen zum laut sein!
Wie oben beschrieben, sind viele Kulturorte in Wilhelmsburg verloren gegangen, während wenig Neue entstehen. Dabei hat Wilhelmsburg ein unglaubliches kulturelles und künstlerisches Potenzial. Wilhelmsburg ist ein junger Stadtteil mit vielen Kreativschaffenden. Gerade dort wo Kreative leben ist der Wunsch Formate auszuprobieren und künstlerisch zu forschen enorm. Dieses kulturelle Kapital kostet die öffentliche Hand erstmal nichts, sofern dem Potenzial Raum gegeben wird. Profitieren werden davon letztlich alle:
Wilhelmsburg braucht experimentelle Kulturorte!
Hamburg ist bekannt für Schmuddelwetter. Trotzdem möchten Menschen zusammenkommen. Da die Wohnungen in Wilhelmsburg meist nur begrenzt Raum bieten wird der öffentliche Raum aufgesucht, seit Corona sogar vermehrt. Eine generationsübergreifende Umfrage in Wilhelmsburg ergab vor kurzem, dass sich eine Sache fast alle für das Stadtviertel wünschen:
Wilhelmsburg braucht überdachte Flächen!
In Wilhelmsburg wohnen viele Arbeiter:innen und Akademiker:innen genauso Tür an Tür wie Menschen mit diversen kulturellen Hintergründen. Für die Initiative KulturKanal wurde durch niedrigschwellige Veranstaltungen im öffentlichen Raum sichtbar, dass zum Beispiel Konzerte, Feuertonnen oder Kinoabende das Wirkungskraft haben Gruppen zusammen und in Kommunikation zu bringen die sonst eher nebeneinander als miteinander leben. Auf der SoulBrache gab es beispielsweise die Situation, dass eine Gruppe Geburtstag gefeiert hat, eine zweite sich in einer anderen Ecke zum Grillen traf und die Initiative Kulturkanal ein Konzert veranstaltete. Über den Tag vermischten sich die Gruppen, luden sich zum Essen ein, feierten Geburtstag und hörten gemeinsam Musik.
Wilhelmsburg braucht Platz für Begegnung und Kommunikation!
Die Soulbrache hat uns in den letzten Jahren gezeigt, dass sie als versiegelte Fläche etwas kann, was Park-Flächen nicht können. Die Initiative konnte Kinder mit ferngesteuerten Autos und Kreide beobachten, Menschen die sich selbst einen Minigolfparcours gebaut haben und diverse Sporttreibende. Skating, Fitness, Yoga… Das Tempelhofer Feld in Berlin und zuletzt auch das Heiligengeistfeld in Hamburg zeigen, dass es einen speziellen Bedarf nach Flächen mit festem Untergrund gibt. Dies liegt auch daran, dass versiegelte Flächen schneller trocknen und damit öfter nutzbar sind als Wiesen in Parks.
Wilhelmsburg braucht festen Boden unter den Füßen!
Ein besonderer Bedarf ist im Bereich Geburtstage und kleinere private Feiern festzumachen. Wilhelmsburg verfügt kaum über anmietbare Orte mit etwas Infrastruktur zum Austragen von kleineren Festlichkeiten. Zudem sind Mieten für solche Lokalitäten für viele Geringverdienende nicht bezahlbar.
Wilhelmsburg braucht einen Leih-Ort für kleine Feste!
Das Leben in Wilhelmsburg ist eine ständige Konfrontation mit Verkehr, Müll, Lärm und Smog. Mit der angekündigten Rodung des wilden Walds am Ernst-August Kanal soll das letzte natürliche Biotop im Stadtviertel verschwinden. Wir alle wissen, dass Lösungen für die Klimakrise ein neues Verstehen und Umdenken in jeglichen Milieus brauchen, um den kommenden Generationen eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Es braucht Angebote und auch außerschulische Vermittlung die Aufklärungsarbeit leistet und Visionen aufzeigt.
Wilhelmsburg braucht Vermittlung und Lernorte im Bereich Klima- und Naturschutz!
6. Konzept für eine mobile Zwischennutzung
Auf der Soulbrache haben sich bereits diverse Nutzungsformen etabliert. Deshalb ist das hier vorgestellte Konzept der Versuch die bisherige Nutzung weiter zu ermöglichen, kulturelle Begegnung zu fördern und weiteren Stadtteilbedarfen Raum zu geben. Dabei aber gleichzeitig einen Weg zu finden die Fläche verkehrssicher zu machen und im Dialog mit Stadt/Sprinkenhof GmbH eine offizielle Nutzung zu gewährleisten.
Das folgende Konzept umfasst eine zweijährige Zwischennutzung. Die Form der Zwischennutzung wurde aus verschiedenen Gründen gewählt:
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Derzeit gibt es Programm und Bemühungen der Stadt Leerstand kulturell nutzbar zu machen (z.B. über die Kreativgesellschaft). Es handelt sich somit um eine Form die auch an anderer Stelle erprobt und praktiziert wird.
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Die SoulBrache wird nach unseren Informationen als festgeschriebene Industriefläche und als Hafenausweichfläche längerfristig verplant, bzw. müsste für andere Nutzungsformen neu verhandelt werden. Mittelfristig gibt es aber keine Pläne für die Brache. Eine Zwischennutzung bietet die Möglichkeit die Fläche jetzt in verabredeter Form zugänglich zu lassen, während bis Ende der Zwischennutzung neu verhandelt werden kann was zukünftig dort passieren soll.
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Wir als Initiative KulturKanal können uns vorstellen in einem abgesteckten Zeitraum ein kulturelles Bespielen der SoulBrache zuzusichern und auch eine Teilverantwortung für die Fläche zu übernehmen. Während der Zwischennutzung soll aber forschend weiter ermittelt werden, welche Bedarfe es im Stadtviertel gibt und ob das hier vorgeschlagene Konzept funktioniert. Nach zwei Jahren kann evaluiert werden ob eine ähnliche Nutzung fortgeführt werden sollte oder ob Veränderungen nötig sind.
6.1 Grundlegende Ziele
Die Freifläche ist groß. Auf 10.000 m² ist ausreichende Platz, sodass Gruppen mit verschiedenen Nutzungsformen koexistieren können. Das soll so bleiben! Organisierte Kulturangebote sollen spontane und nicht-kuratierte Nutzung weiter zulassen. Deshalb soll die Fläche nicht grundlegend verändert oder fest bebaut werden. Für alle nachfolgend aufgeführten Nutzungsideen soll mobile, austauschbare und veränderbare Infrastruktur gefunden werden. Einerseits um den vielseitigen Charakter der Fläche zu erhalten und um andererseits mit Ende der Zwischennutzung die Fläche in den Ursprungsstatus zurückversetzen zu können.
Die Zwischennutzung hat das Ziel niedrigschwellige Kulturangebote ohne Bezahl- oder Konsumzwang zu schaffen. Die SoulBrache soll zwei Jahren lang als Experimentierraum, Bühne und Treffpunkt für diverse kulturelle Akteur:innen aus Wilhelmsburg, Hamburg und der ganzen Welt zur Verfügung stehen. Bewohner:innen des Stadtteils sollen sich weiter und vermehrt eingeladen fühlen die Fläche als einen Freiraum für ihre Anliegen zu nutzen. Die SoulBrache soll partizipativ Kultur von unten heraus ermöglichen, die durch Eigeninitiative, Improvisation und Spontanität wächst. Luft zum Atmen und Platz für Ideen.
6.2 Finanzierung
Diesem Konzept ist ein überschaubarer Kostenfinanzierungsplan angehangen. Allerdings verfolgt die Initiative das Ziel die konzeptionellen Vorhaben unabhängig von öffentlichen Geldern zu realisieren. Die Zwischennutzung SoulBrache ist ohne hohe Investitionskosten, mit nur geringen laufenden Kosten und basiert auf Spenden konzipiert. Das heißt: die Umsetzung soll die Stadt nichts kosten, sondern durch die Initiative und die Eigenmittel der Nutzer:innen finanziert werden. Denn dadurch bleiben der selbstbestimmte Charakter und die künstlerische Improvisation als Handschrift erhalten.
Wenn es aus Sicht der Stadt für die Zwischennutzung einen offiziellen Vertragspartner für die Fläche braucht, wäre eine symbolische Pacht für die Initiative denkbar.
6.3 Sicherheit
Die Soulkitchenhalle steht derzeit nach wie vor auf der SoulBrache. Sie ist verschlossen und einsturzgefährdet. Um die SoulBrache sicher nutzen zu können müsste ein Bauzaun um die Halle gezogen werden, damit Abstand zu dem Gebäude sicher eingehalten werden. Die Aufstellung dieses Zauns wäre Aufgabe der Sprinkenhof GmbH und ist eine Erwartung von Seiten der Initiative in diese Richtung.
Für die Nutzung würde die Initiative Schilder aufstellen, die darüber aufklären welche Besonderheiten die Fläche mit sich bringt, wie die Nutzung gedacht ist und was für die sichere Nutzung zu beachten ist (z.B. nichts in den Boden verankern etc.).
Aktive der Initiative würden die Fläche regelmäßig auf Mängel oder gefährliche Gegenstände kontrollieren. Mit Sachverständigen müsste eine Begehung gemacht werden, um zu ergründen welche weiteren Veränderungen notwendig sind um die Fläche für eine kulturelle Zwischennutzung verkehrssicher zu machen.
6.4 Veranstaltungen und Infrastruktur der Initiative KulturKanal
Die Initiative würde mindestens einmal pro Monat ein offenes Veranstaltungsangebot auf der Fläche realisieren. Das Format wären weiterhin Kulturhybride aus Musik, Darstellenden Künsten, Ausstellungen, Kino und Kommunikationsangeboten. Auch Vorträge, Lesungen und partizipative Spielangebote sind geplant.
Dafür möchte die Initiative als Materiallager einen Seecontainer temporär auf oder neben der Brache platzieren. Aus Paletten sollen eine Kleinkunstbühne und einige Sitzgelegenheiten plus Tische geschaffen werden. Sitzgelegenheiten und Bühne stehen dem Stadtviertel unabhängig von einem Angebot der Initiative als nutzbare Infrastruktur offen. Der Container soll von außen mit Holzplatten verkleidet und erweitert werden, sodass ein Ersatz für die verlorengegangene legale Graffitiwand (ehemals Sanitasstraße) geschaffen wird.
Die Veranstaltungen der Initiative laufen auf Hutbasis. Das heißt: Spenden um die Ausgaben zu refinanzieren sind willkommen, Bezahlen ist aber keine Voraussetzung für eine Teilnahme am Programm. Andere Einzelpersonen oder Gruppen können auf die Initiative zukommen um weitere Infrastruktur zu leihen. So verfügt die Initiative zum Beispiel über Veranstaltungstechnik und technisches Knowhow, das gerne für die Realisierung von eigenen Veranstaltungen genutzt werden soll.
6.5 Natur und Umwelt
Die Initiative will vier große Hochbeete bauen, in welchen Kräuter und Gemüse angebaut werden können. Hochbeete (Urbaner Gartenbau) bieten Gelegenheit einen engeren Bezug zu unserer Umwelt im Städtischen Raum herzustellen. Zusammen mit einer mobilen Ausstellung (die im Container gelagert wird) stellen die Beete eine Infrastruktur für Besuche von Schulklassen und Jugendgruppen, sowie für Veranstaltungen. In Zusammenarbeit mit Umweltinitiativen und Naturvermittler:innen aus Wilhelmsburg sollen so buchbare und offene Angebote als Lernort für Umwelt, Stadt und Natur geschaffen werden. Für die Ausstellung soll aufgrund der Hafennähe ein besonderes Augenmerk auf ökologische Visionen für den Hafen gelegt werden.
6.6 Treffpunkte und ein Dach
Ein großer generationsübergreifender Bedarf in Wilhelmsburg sind überdachte Flächen zum Versammeln (siehe Punkt 5) Durch eine durch die Initiative gestartete Spendenkampagne soll im Herbst 2022 eine simple aber stabile Dachkonstruktion auf einer etwa 20m² großen Fläche errichtet werden. Da auf der Brache keine Verankerungen im Boden befestigt werden dürfen, ist eine mobile Konstruktion aus Beton-Legosteinen denkbar (siehe Foto). Vier Säulen, bestehend aus 3-4 Blöcken bilden die Füße für eine einfache Dachkonstruktion aus Blechplatten.
Beispielkonstruktion, Wendland
Direkt beginnen würde der Bau von diversen Sitzgelegenheiten und einigen Tischen. Hier sollen weiterhin Menschen zum Lesen oder Verweilen, an der Straße pausierende Fernkraftfahrer zum Essen, oder Veranstaltungsbesucher:innen zum Sitzen eingeladen werden.
6.7 Müll
Viele Nutzer:innen räumen die SoulBrache regelmäßig auf. Trotzdem ist immer wieder zu beobachten, dass Müll auf der Fläche zurückbleibt. Dies wurde zwar schlagartig besser nachdem von Unbekannten temporär Mülleimer aufgestellt wurden. Trotzdem lohnt hier ein Neubau von gut gekennzeichneten Müllboxen. Die Initiative will zwei Boxen bauen und würde regelmäßig die Mülltüten wechseln und entsorgen, damit nicht weiter Müll in die Umwelt und den Kanal gelangen kann.
6.8 Feuerstelle / Grillen
Die SoulBrache eignet sich ausgezeichnet um sicher und ohne andere zu belästigen zu Grillen. Mit einem neu geschaffenen Grillplatz könnten bisher oft genutzte, umweltschädliche Einmalgrills vermieden werden. Mit einer Feuerstelle wäre die Grundlage geschaffen das Abenteuer Stockbrot für Kinder und Jugendliche weiter auf Veranstaltungen zu realisieren. Außerdem sind Feuertonne oder Feuerstelle für Veranstaltungen im Winter der nötige Ort zum Aufwärmen.
6.9 Skating?
Denkbar wäre einen Teil der Fläche für Skater:innen zu öffnen. Nachdem unter der Wilhelmsburger Reichsstraße der in Eigeninitiative gebaute Skatepark abgerissen wurde, wird in Wilhelmsburg nach wie vor nach geeignetem Ersatz gesucht.
6.10 Partizipative Evaluation
Die Initiative schlägt eine zweijährige, also temporäre Zwischennutzung der Fläche vor um in dieser Zeit Platz und Raum für das Viertel anzubieten und gleichzeitig noch mehr darüber herauszufinden, welche Bedürfnisse die hier lebenden Menschen an eine solche Fläche haben. Eine regengeschützte Briefurne soll am Eingang der Fläche dazu einladen auf einem Minifragebogen Wünsche und Erwartungen an die Fläche zu äußern. Die Initiative wertet diese Form der Beteiligung dauerhaft und nach zwei Jahren final aus. Außerdem soll zum Ende der zwei Jahre Testphase ein Fragebogen an bekannte Nutzer:innen und Kulturschaffende in Wilhelmsburg verteilt werden um zu erheben: was hat gut funktioniert? Was nicht? Könnte es begleitet durch die Initiative weitergehen? Braucht es ein anderes Format?
7. Die nächsten Schritte und ein Apell
Die plötzliche Umzäunung des aktiv und vielseitig genutzten Geländes sorgt bei Veranstalter:innen und Kulturschaffende, sowie bei Anwohnenden für Irritation und Unverständnis. Geplante Veranstaltungen können nicht stattfinden und die Frustration im Viertel über fehlende Kulturräume und Freiflächen nimmt zu. Deutlich wird das auch durch Stadtteilinitiativen wie das Elbinsel Kulturlabor, welches als Zusammenschluss vieler Kulturschaffender nach der Schließung des Turtur neue Möglichkeiten und Räume sucht, um Live Musik, Feiern, aktiven Austausch und kulturelles Leben im Viertel zu verankern. An Ideen und Initiative vieler Beteiligter Einzelpersonen und Gruppen für unterschiedliche Veranstaltungsformate mangelt es folglich nicht. Was in Wilhelmsburg dringend und akut fehlt, ist der Platz. Über die unvermittelte Umzäunung der SoulBrache muss jetzt verhandelt werden.
Hierfür fordern wir schnellstmöglich ein Treffen mit politischen Entscheidungträger:innen ein, um Möglichkeiten der offiziellen Nutzung zu besprechen und eine Wiedereröffnung der Fläche auf den Weg zu bringen.
Für einen lebendigen und lebenswerten Stadtteil sind Initiative und zivilgesellschaftliches Engagement ein wichtiger Antrieb und die schöpferische Quelle neuer Ideen. Wilhelmsburg ist ein Stadtteil im Wandel und droht in der aktuellen Entwicklung zunehmend die Akteur:innen zu verlieren, die diesem Stadtteil kreative Einzigartigkeit einhauchen können. Lasst die Leute machen! In Wilhelmsburg ist schon Erstaunliches entstanden – durch Platz. Gemeinschaftlich gestaltete und genutzte Orte verbinden und sorgen für gesellschaftlichen Zusammenhalt in Zeiten, die von Spaltung und Vereinzelung geprägt sind. Deshalb ist jede Fläche die ebenjene Möglichkeiten bietet wertvoll und deshalb kann eine Neuverhandlung für die SoulFläche nicht noch einmal ausgesessen oder vertagt werden. Der Begriff KulturKanal bietet Raum für so Vieles und hat in der Vergangenheit bereits unterschiedliche Kulturschaffende am Veringkanal hinter sich vereint. Forderungen nach zukunftsweisenden Flächennutzungsplänen, dem Erhalt der historischen Industriegebäude am Kanal, einer Verbesserung des Ökologischen Zustands und einem Kulturkanal „von unten“ wurden überhört und sind versandet. Die Konzepte zum SoulVillage sind ebenso gescheitert wie die des Theater am Kulturkanal (TAK) und Weitere.
Die Stadt muss verantwortungsbewusst mit dem vorhandenen Engagement umgehen. Wir fordern, dass wir ab sofort eine zuständige Ansprechperson von städtischer Seite vermittelt bekommen und die Fläche noch diesen Sommer 2022 wieder nutzbar wird.
Unsere konkreten Pläne für die SoulBrache belaufen sich auf eine unkomplizierte und mobile Deckung der für das Viertel ermittelten Bedarfe. Diese liegen erstens in (überdachten) Freiflächen für private und öffentliche Zwecke um Raum für Kommunikation und Austausch zu schaffen. Und zweitens in Veranstaltungs- und Kulturorten, die vielfältig bespielt werden und niedrigschwellig (umsonst und draußen) besucht werden können. Neben der Öffnung des Zauns sind nicht viele Veränderungen nötig um auf der SoulBrache wieder einen belebten Ort der Wilhelmsburger Stadtteilkultur zu entfalten.
Zwei Jahre niedrigschwellige Zwischennutzung geben Zeit um im Dialog weiter zu besprechen welche zukünftigen Anforderungen es von Seiten der Stadt für die Fläche gibt und welchen Platz selbstorganisierte Stadtteilkultur in längerfristigen Plänen bekommt. Somit ist ein Puffer geschaffen, als Testlauf und als Zwischenzeit um nachhaltige Konzepte zu erörtern.